R.Gebert - Reportage - Blühender  Osten – wilde Landschaft
Roland Gebert, Reportagen

Blühender  Osten – wilde Landschaft

Die Foto-Reportage „Blühender Osten – wilde Landschaft“ dokumentiert in Bild und Text, was uns im Osten im wahrsten Sinne des Wortes blüht - und wo noch Bauwerke mit dem Charme des Morbiden im Dornröschenschlaf liegen, die „wach geküsst“ werden wollen. Die Sammlung zeigt aber auch bereits gelungene Sanierungen, von denen Impulse beispielgebend über die Grenzen Ostdeutschlands ausgehen. Um Revue passieren zu lassen, sind der 20. Jahrestag der Grenzöffnung und der 20. Jahrestag der deutschen Einheit für die Veröffentlichung willkommene Anlässe.

Einleitung

Steht ein Haus leer, sprießen kurze Zeit später Birken vor der Tür. Aus den Fugen der Gehwegplatten im Hof schiebt sich Löwenzahn hervor. In der Dachrinne wächst Franzosenkraut. Die Natur holt sich zurück, was der Mensch verlassen hat. Auf meinen Reisen zwischen Hiddensee und Elbsandsteingebirge suchte ich in den letzten Jahren nach Motiven, denen der Charme des Morbiden anhaftete und die durch ihre Nutzung in irgendeiner Form an die DDR erinnerten. Dabei entstanden Fotografien, die zum einen den Leerstand und Verfall von Wohn- und Betriebsgebäuden in Ostdeutschland zeigen - zum anderen aber das lebendige Grün als Symbol der Hoffnung für einen Neuanfang aufweisen. Aufnahmen von Schildern, Fahrzeugen, Schaufenstern und Türen ergänzen die Sammlung.

Wenn Häuser erzählen

Jedes Haus hat seine eigene Geschichte: Es wird erdacht, gebaut, bezogen, reift, tauscht den Inhalt; es wird geliebt, verkannt, gehasst, altert, verlassen, verkauft, bröckelt … Steht es länger leer, geht von ihm oft etwas Geheimnisvolles und Geisterhaftes aus. Spinnweben versperren den Weg. Schwalben und andere „Nachmieter“ haben sich eingenistet. Der Wind spielt mit Fenstern, Türen und Ventilatoren. Scheiben zerbersten. Der Glasbruch bringt eigenartige Figuren hervor, die an Fabeltiere erinnern.

Die Untertiteltexte

Die Untertiteltexte geben einen Einblick in die Geschichte der Gebäude, vor allem die der jüngsten Vergangenheit. Was ich in zahllosen Gesprächen mit ehemaligen Beschäftigten, Zeitzeugen und Mitarbeitern von Archiven in Erfahrung bringen konnte, findet sich hier wieder: Beispielsweise, dass eine Eule ein vorm Abriss bedrohtes Haus rettete - oder dass volkseigene Großbetriebe nebenbei die skurrilsten Konsumgüter herstellten. Sollte nichts anderes im Text aufgeführt sein, so sind die meisten Häuser und Betriebe nach der politischen Wende um 1990 oder kurz darauf geschlossen worden.

Ein Blick zurück

Manch ein Betrachter wird sich besorgt fragen, wie es überhaupt zu solch einem bedauerlichen Zustand der Bauwerke kommen konnte. Die Fakten dazu sind hinlänglich bekannt: Viele der gezeigten Bauten waren schon zu DDR-Zeiten in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Die niedrigen Mieten reichten zum Erhalt nicht aus. In den Fabriken liefen die veralteten Anlagen oft auf Verschleiß. Der Einbruch des subventionierten Binnenmarktes und der Wegfall des Exportes in die sozialistischen Länder entzogen vielen Betrieben die Existenz-Grundlage. Der dramatische Bevölkerungsverlust verbunden mit dem Ausbleiben von Nachnutzern sowie die Ignoranz oder Hilflosigkeit der neuen Besitzer taten ihr Übriges.

Hoffnung auf einen Neuanfang

Auch wenn wild wuchernde Brachen von vielen Menschen als Schandflecke empfunden werden, stellen sie für einige Pflanzen und Tiere willkommene Rückzugsgebiete dar. Das so genannte Unkraut trägt zur Luftreinheit bei, indem es besonders in der Großstadt Feinstaub aufnimmt und Sauerstoff spendet.

Aus der Sicht des Denkmalschützers verfügt gerade der Osten Deutschlands über reichlich Erhaltenswertes. Hierin liegt eine große Chance, denn schließlich baut unsere moderne Wirtschafts- und Dienstleistungsgesellschaft auf die vergangene Industriekultur auf. Einige der gezeigten Gebäude wurden inzwischen saniert, andere fielen der Abrissbirne zum Opfer. Vielleicht trägt diese Sammlung dazu bei, dass sich manches der leeren Häuser wieder mit neuem Leben füllt.



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